Ironman Hamburg 2021

Ursprünglich war der Plan, beim Prag Halbmarathon Anfang September 2021 eine neue Bestzeit über diese Distanz zu laufen. Noch ursprünglicher war dieser Plan für März 2020 angesetzt. Nachdem der Lauf aber wegen der nach wie vor anhaltenden Pandemie zum vierten Mal in Folge sehr kurzfristig um ein halbes Jahr verschoben wurde, öffnete sich an anderer Stelle eine neue Tür. Der Ironman Hamburg hatte vor einigen Wochen wieder seine Anmeldung geöffnet. Was bei mir zunächst nur ein Hirngespinst war, wurde durch den erneuten Wegfall des langersehnten Laufs in der tschechischen Hauptstadt zu einer ernsthaften Überlegung. So fand ich mich irgendwann in den ersten Augusttagen wieder. Noch einmal mit meiner Freundin und meinem Trainer beraten, noch zwei Mal drüber schlafen und schon war ich um gut 600 € ärmer und um einen Startplatz reicher, der mir an meinem 35. Geburtstag ein hoffentlich schönes Rennen bescheren sollte.

Sportlich gesehen verbinde ich mit Hamburg schöne Erinnerungen. Unter anderem ein wunderbarer Marathon, der mittlerweile über 8 Jahre zurück liegt, mein erster Start im Rahmen der Regionalliga und nicht zuletzt die Qualifikation für die Ironman WM vor 3 Jahren. Zudem bietet die Nähe zu meiner besseren Hälfte, meinen Eltern und vielen Freunden und Bekannten hervorragende Rahmenbedingungen. Die schnellen Streckengegebenheiten in Hamburg gefallen mir zudem besser als beispielsweise Wellen beim Schwimmen oder technische Abfahrten beim Radfahren. Da die Trainingsumfänge in den vergangenen Monaten ohnehin am oberen Ende des Spektrums für Hobbysportler angesiedelt waren, ist es auch halb so wild, dass nun nur noch 4 Wochen für die gezielte Vorbereitung übrig sind. Also bleibt im Grunde nicht viel anderes übrig, als den Trainingsplan meines Trainers gewissenhaft zu befolgen. Bei zwei aufeinander folgenden Wochen mit jeweils über 30 h Trainingsumfang gar nicht so einfach, bedenke man doch, dass es noch so etwas wie Sozialleben und Arbeitsalltag gibt. Aber irgendwie hat es dann doch geklappt. Die Wettkampfwoche läuft dann recht entspannt und routiniert ab. Eine Woche Koffeinverzicht, Reduktion des Trainingsumfangs, konsequentes Carboloading am Freitag, das heißt 800 g Kohlenhydrate bei einem Minimum an Ballaststoffen und Fett - auch mal schön!

Auch am Wettkampftag schlafe ich gut. In den letzten Tagen habe ich Unterschlupf bei meiner Freundin in Lübeck gefunden. Der Wecker klingelt früh, die Sachen sind bereits gepackt, viertel nach 4 sind wir bereits im Zug auf dem Weg nach Hamburg. Das Wetter: Es könnte schöner sein. Es ist recht kühl, feucht, es weht ein leichter Wind. Für den Tag ist hier und da mal etwas Regen angesagt, die Sonne soll heute auch nur wenig bis gar nicht zwischen den Wolken hervorlugen. Es könnte allerdings auch schlechter sein. Vor dem Start regnet es zumindest nicht und auch in den ersten Wettkampfstunden ist kein Regen zu erwarten. Das Außenthermometer soll zum Mittag hin durchaus mal auf 16°C klettern und die Wassertemperatur in der Alster beträgt 17,5° C. Auch der Wind hält sich in Grenzen. Machen wir also das beste draus.

Der Start erfolgt als Rolling Start. In Hamburg mit jeweils zwei Startern und Abständen von 5 Sekunden. Bereits beim Einsortieren finde ich mich etwas weiter vorn als geplant wieder. In den vergangenen Wochen gab es durchaus die eine oder andere Schwimmeinheit, die darauf hoffen ließ, dass die Schwimmform zumindest nicht ganz so weit weg von jener ist kurz bevor sich Sars Cov 2 in Europa breit machte. Dennoch möchte ich mich mit allem unter 60 Minuten zufrieden geben. So wollte ich eigentlich etwa 30 Teilnehmer vor mir starten lassen. Nun sind es wohl keine 20. Was soll's - Je früher desto eher...

 Ich finde schnell meinen Rhythmus und habe den Eindruck beim Blick nach links und rechts, dass ich trotz der vorderen Startposition zumindest nicht völlig überschwommen werde. Ein gutes Zeichen. Die Wassertemperatur in dem Binnengewässer ist im Neo bei Wettkampftempo angenehm frisch, die Wasseroberfläche ist bestenfalls leicht rau, die Streckenführung ziemlich simpel. Füße zum Ranhängen finde ich auch über weite Strecken. Könnte durchaus schlechter laufen. Die ersten 3 Kilometer lege ich relativ konstant in jeweils gut 15 Minuten zurück. Zum Ende hin werden die Arme dann doch spürbar müder, aber es ist ja auch nicht mehr weit. Nach 58:39 min steige ich als 39. männlicher Starter aus dem Wasser, in meiner AK bedeutet das Platz 7 - Für meine Verhältnisse mehr als zufriedenstellend!

Wer sich in der Welt des Triathlons auskennt, der vermutet an dieser Stelle den Beginn des Radfahrens. Zuvor liegen aber noch etwa 500 Meter zu Fuß vor mir. Genug Strecke, um ein paar Plätze gut zu machen - ganze 17 Plätze im Gesamtfeld der männlichen Agegrouper beschert mir der zweitschnellste Wechsel.

Als nun Dritter der AK 35-39 geht es für drei Runden mit jeweils knapp 60 Kilometern aufs Rad. Wer hätte gedacht, dass ich das Radfahren auf einem "Podestplatz" beginnen darf? - Ich jedenfalls nicht. Von meiner besseren Hälfte erfahre ich unterwegs hier und da meine Platzierung und die Abstände nach vorn. Ich sehe, dass meine Platzierung (innerhalb der AK) zwischen 3 und 4 wechselt. Dass der Erstplatzierte einen gigantischen Vorsprung herausfährt, realisiere ich während des Radfahrens nicht, was wohl auch besser so ist. Auf der ersten Runde habe ich noch ein Trio in Sichtweite, das ich zu Beginn der zweiten Runde verliere. Die Strecke ist mittlerweile doch recht voll. Überrundungen lassen keine Langeweile aufkommen. Der Wind frischt auf, hier und da kommen mal ein paar Wassertropfen herunter. Ich nehme diszipliniert alle 10 km meine Verpflegung zu mir. Insgesamt habe ich 400 g Kohlenhydrate mit 10 g Salz in zwei 750 ml Flaschen mit zur Party genommen. Es stellt sich ein meditativer Zustand ein. Direkten Einfluss hat man im Grunde eh nur auf die aufgebrachte Trittleistung und die Trittfrequenz. Ich trete also möglichst konstant die Watt und die upm, die ich mir vorgenommen hab und hoffe, dass mir die kmh, die dabei rauskommen, schmecken. Die Herzfrequenz bleibt im erwarteten Bereich, das Gefühl der Anstrengung durchaus aushaltbar. Irgendwann auf der zweiten Runde holt mich ein französischer Kontrahent ein, von dem ich weiß, dass er bereits ein Challenge-Roth-Finish in unter achteinhalb Stunden auf dem Konto hat. Ich freue mich also, in bester Gesellschaft zu sein oder viel mehr: Ich bin geradezu überrascht.

 

Nach etwa 3:08 h Fahrzeit geht es auf die letzte Runde. Bis hierhin zeigt der Tacho deutlich über 38 kmh und damit klar am schnelleren Ende meiner Erwartungen. Kurz danach merke ich, dass sich mein Flaschenhalter hinterm Sattel fast gelöst hat und nur noch locker an einer Schraube hängt. Fürs restliche Radfahren hoffe ich einfach, dass diese Schraube ihren Job bis zum Ende erfüllt. Bei der letzten Wende, etwa 30 km vorm zweiten Wechsel, leere ich meine letzten Verpflegungsreste und atme leicht auf, da etwas Last vom Flaschenhalter und damit auch von meinem Herzen abfällt - Er hält bis zum Ende! Mein französischer Begleiter verabschiedet sich an selber Stelle für eine Dixi-Pause und ich steuere somit im Alleingang auf die letzten 50 Minuten bei leichtem Gegenwind auf die Wechselzone zu. Gegen Ende der zweiten Disziplin werde ich, ähnlich wie beim Schwimmen, wieder etwas müde. Ich sehe, dass meine Herzfrequenz bei gleichbleibender Leistung steigt beziehungsweise die Leistung bei gleichbleibender Anstrengung und Herzfrequenz sinkt. Zum Glück ist es ja gleich geschafft. Einen letzten Adrenalinstoß verschaffe ich mir in der letzten Spitzkehre, etwa 500 Meter vorm Ende des Radfahrens, wo es hinunter in den Wallringtunnel geht. Ich bremse, das Hinterrad rutscht weg, ich löse die Bremse, bremse wieder, rutsche wieder weg, bis ich fast zum Stehen komm. Froh, nicht zu Fall gekommen oder in eine Absperrung geschliddert zu sein, steuere ich auf den Tunnel und schließlich auf die Linie zu, vor der die Füße wieder den Boden berühren müssen. Das Radfahren ist geschafft! Kein Sturz, kein Platten, im Schnitt etwas über 200 W, 90 RPM, 146 BPM, alles recht gleichmäßig. Besser hätt ich's mir nicht ausmalen können, allerhöchstens mit einem bisschen mehr Sonnenschein. Am Ende sind es 4:39:17 h für die (nach eigener GPS-Messung) knapp 178 km.

Nachdem ich meine Leeze als Dritter meiner AK und Gesamt-17. in die zweite Wechselzone schiebe, folgen etwa 400 Meter bevor es auf die Laufstrecke geht. Für die Qualifikation für die Ironman WM im Oktober 2022 ist heute ein zweiter Platz in meiner AK nötig. Der Rückstand auf den Zweitplatzierten ist mit 2:40 min durchaus überschaubar. Aber wer weiß schon, wer heute was für Laufbeine mitgebracht hat? Beim Müritz-Triathlon vor 4 Wochen, klappte es mit dem Laufen einfach großartig! Daher habe ich mir für heute Großes vorgenommen.

Der erste Kilometer vergeht recht schnell. Die Uhr vibriert zur ersten Zwischenzeit nach 3:45 min. Wie so oft schneller als  geplant, aber dann ist es auch schon Zeit in mein geplantes Tempo überzugehen. Es folgt ein Kilometer in 4:01 und kurz danach - Eine Toilettenpause. Ich bitte ein paar Zuschauer, das Pissoir kurz frei zu machen und campiere für 50 Sekunden, bevor es weiter geht. Unterwegs sehe ich am Streckenrand immer mehr bekannte Gesichter und bitte sie, mir ab der nächsten Runde Abstände zuzurufen. Etwas später bin ich alle paar Minuten bestens informiert - Danke dafür! Es dauert nicht lange und ich befinde mich auf dem zweiten Platz in meiner AK. Nach 6 km ruft mir ein Freund unter anderem "26 auf 1" zu. Die "1", das erfahre ich bald, das ist zum einen der Gesamtführende, aber leider auch der Führende in meiner AK. Nur wie passt die "26" da rein? Ich rufe zurück: "Sekunden?", die Antwort: "Minuten!". Ich überlege und komme zu dem Trugschluss, das das nicht sein kein. Ahhh - Er meinte wohl "6:20" - aber natürlich! Ein bisschen später erspähe ich meine Freundin, die mir auf einer Tafel eine "1" und daneben eine dicke "26" stehen hatte. Hm... Mein nächster Gedanke: Das muss ein Fehler im Tracker sein - Ein weiterer Trugschluss. Nach und nach freunde ich mich mit dem Gedanken an, dass hier jemand unterwegs ist, der mir eine knappe halbe Stunde auf dem Rad aufgebrummt hat. Was soll's - Ich befinde mich auf dem zweiten Platz und damit auf Kurs Richtung Kailua-Kona! 10 km habe ich nach 39:57 (inklusive Pinkelpause) hinter mir. Ich bin voll in meinem größenwahnsinnigen(?) Plan. Nun heißt es also durchhalten - Sind ja nur noch knapp 32 km.

Meine Bekannten rufen mir irgendwann nicht mehr die AK-Platzierung zu, sondern nur noch die Gesamtplatzierung und, dass ich deutlich schneller laufe als alle anderen. Einige Zuschauer blicken interessiert auf meine Startnummer, als ich sie passiere und murmeln irgendwas von "schnell" und "laufen", "noch gut" und "aussehen". So schlecht kann es nicht laufen. Tatsächlich ist die zweite der vier Runden ein wenig schneller als die erste, denn meine Blase hält diese Runde durch und ich spare 50 Sekunden. Zwei Runden beziehungsweise 21 km liegen nach 83:03 Minuten bereits hinter mir. Zudem ist der 21. Km mit 3:44 auch der schnellste für mich. Ich freu mich so sehr, dass ich mich buchstäblich bepinkeln könnte. Ich entscheide mich stattdessen für eine zweite kleine Pause am Pissoir bei km 24.

 

Ich befinde mich also in Mitten der dritten Runde, die Kilometer bleiben konstant knapp unter 4 Minuten. Gegen Ende der dritten Runde überhole ich zunächst die führende Frau, die wie die anderen WPROs 15 Minuten vor uns Amateuren gestartet ist, kurz danach überhole ich Socken-Sigi, dessen Socken ich heute trage. Oder tragen mich seine Socken? So fühlt es sich nämlich an. Mittlerweile befinde ich mich auf Rang zwei im kompletten Starterfeld. Es tritt das ein, was ich eigentlich immer für völlig ausgeschlossen hielt. Ich dachte immer, es sei ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Kopf mindestens für die letzten 10 km eines Ironman von Gedanken wie "Einfach nur durchhalten" (im besten Fall), "Ich will einfach nur noch gehen/stehen/liegen" (im Normalfall) oder "Aua, ich will zu meiner Mama" (im schlimmsten Fall) beherrscht werden. Stattdessen werde ich von Glücksgefühlen durchflutet. Selbst in der letzten der vier Runden gelingt mir ein Schnitt von 4:02/km. In solchen Momentan neigt man dazu, sich unzerstörbar zu fühlen. Glücklicherweise scheint Hochmut an Geburtstagen nicht mit einem Fall bestraft zu werden.

Die letzten zwei Kilometer bin ich im Grunde nur noch am Feiern. Kurz vorm Ziel erblicke ich die Uhr am Eingang der U-Bahn-Station Jungfernstieg. Es ist Viertel nach 3. Ich denke das erste Mal am heutigen Tag über meine mögliche Zielzeit nach. Nach 8:30:31 h Rennzeit und einem Laufsplit von 2:45:42 h, dem schnellsten des Tages, finde ich mich dann auch schon überglücklich im Ziel wieder. Platz 2, in der AK sowie insgesamt, Hawaii-Quali. Was für ein Rennen!

 

Datenaufzeichnung vom Ironman Hamburg

 

Danke an alle, die mitgefiebert haben, die vor Ort waren und an alle, die in welcher Weise auch immer dazu beigetragen haben, dass der 29. August 2021 so war wie er war - Unfassbar! Besonders an meinen Trainer Erik und meine Freundin Chrissi (für die Unterstützung und auch den Großteil der Fotos hier). Am 8. Oktober nächsten Jahres darf ich zum zweiten Mal an der Startlinie zur Ironman World Championship auf Hawaii auf den Schuss der Startkanone warten. Ich freu mich drauf!

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Kommentare: 1
  • #1

    Marian (Mittwoch, 15 September 2021)

    Hallo Jan,

    absoluter Wahnsinn! Toll beschriebene Eindrücke. Glückwunsch nochmal und hoffentlich sieht man sich jetzt öfter beim training.

    Grüße
    Marian